Moskenstraumen
Kunst und Zeitgeist

11. Juli 2011

Gott schuf den Menschen nach seinem Ebenbilde, der Mensch schuf die Maschine und die Maschine erschafft Gott.
– Frei nach Thomas Machos Eröffnungsrede der Ars Electronica-Gastausstellung "Wovon Maschinen träumen" im Automobilforum Unter den Linden, Berlin (8.7.2011,)

16. Mai 2011

Hegel konzipierte seine Kunstphilosophie in einer Zeit, die ihre Künstler mit den allergrößten Erwartungen ehrte. Man erhoffte eine Poesie, die mit den Griechen würde wetteifern können, und gründete solche Hoffnung auf die schon erreichte Höhenlage poetischer Werke. Künstler haben nahezu ausnahmslos der Kunst zugetraut, die Einsichten der Menschheit in ihre Situation und ihren geschichtlichen Gang ins Werk zu bringen und das in einer Kompetenz zu tun, die mit Homer, mit Sophokles würde verglichen werden können. Die Philosophen der Jahrhundertwende, besonders Schelling haben sich diesem Urteil und dieser Hoffnung angeschlossen.
Nicht so Hegel. Er ist der Tendenz in der Meinung seiner Zeit und seiner Freunde über die Perspektiven der Kunst schroff entgegengetreten und hat behauptet, daß es vorüber sei mit der Kunst als dem Ausdrucke der Wahrheit, als einem Medium der Einsicht des Menschen in die Grundzüge der Welt, aus der er kommt und in der er lebt.
– Dieter Henrich: "Fixpunkte" (2003)

25. April 2011

Am Ende eines guten Jahrhunderts an unterstellter Kritik an der Tradition der Mimesis muss man feststellen, dass diese Tradition noch immer herrschend ist, bis in die Formen hinein, die künstlerisch und politisch subversiv sein wollen. Man nimmt an, dass die Kunst uns empört, wenn sie uns empörende Dinge zeigt, dass sie uns mobilisiert, wenn sie das Atelier oder das Museum verlässt, und uns in Gegner des herrschenden Systems macht, wenn sie sich selbst als Element des Systems verleugnet. [...] Nennen wir das das pädagogische Modell der Wirksamkeit der Kunst. Dieses Modell prägt weiterhin die Produktion und das Urteil unserer Zeitgenossen. Wir glauben sicher nicht mehr an eine Verbesserung der Sitten durch das Theater. Aber wir lieben es noch immer zu glauben, dass dieses oder jenes in Harz gegossene Werbeidol uns gegen das mediale Reich des Spektakels aufbringen wird oder dass eine Fotoserie über die Darstellung der Kolonisierten durch die Kolonisten uns helfen wird, heute die Fallen der dominanten Repräsentation der Identitäten zu vermeiden.
– Jacques Ranciére: "Der emanzipierte Zuschauer" (2008)

7. April 2011

Was auch immer im öffentlichen Raum zur Sprache kommt: Die Not-Lüge redigiert den Text. Alle veröffentlichten Reden unterliegen dem Gesetz, den an die Macht gelangten Luxus in den Jargon der Not zurück zu übersetzen.
– Peter Sloterdijk: "Sphären III - Schäume, Plurale Sphärologie" (2004)

3. März 2011

Die alte Maxime der Ähnlichkeit kehrt sich um. Wir messen die Welt nach den Ähnlichkeiten, die sie mit den Bildern hat, und nicht umgekehrt.
– Hans Belting: "Das echte Bild. Bildfragen als Glaubensfragen." (2005)

28. Januar 2011

Ich glaube nicht an die Postmoderne. Die radikale Expression des kulturellen und gesellschaftlichen Pluralismus, die Betonung der individualistischen Lebensweise wie auch das ewige Zitieren, Referenzieren und Selbstreferenzieren sind der häßliche Ausdruck einer allgemeinen Laxheit, die keine Normen und keine Nomenklaturen kennt. Das Fehlen eines ästhetischen Codex, der als Maßstab für jeden Bereich des kulturellen Schaffens und Lebens gelten kann, ist ein Hindernis für die Ausbildung eines guten Geschmacks. Eine Kunst ohne Eigenlogik ist aussichtslos; solange übergeordnete Modelle fehlen, ist die künstlerische Freiheit nur eine scheinbare: Die unübersichtliche Vielfalt der Möglichkeiten lähmt die Kunst.
– Theis von Klein

26. Januar 2011

Es war Hegel, der die paradoxe Formel des Kunstwerks im ästhetischen Regime der Kunst aufgestellt hat: das Werk ist die materielle Inskription einer Differenz des Denkens zu sich. Dies beginnt mit der erhabenen Schwingung des Denkens, das vergeblich seinen Verbleib in den Steinen der Pyramide sucht; es setzt sich fort in der klassischen Umklammerung der Materie mit einem Denken, dem es nur um den Preis seiner eigenen Schwäche gelingt, sich zu verwirklichen; weil die griechische Religion der Innerlichkeit beraubt ist, kann sie sich idealerweise in der Perfektion der Gottesstatue ausdrücken: es ist schließlich die Fluchtlinie der gotischen Turmspitze, die dem unerreichbaren Himmel entgegenstrebt und so den Zeitpunkt ankündigt, an dem – das Denken ist endlich bei sich –, die Kunst aufgehört haben wird, ein Ort des Denkens zu sein. Zu sagen, dass die Kunst widersteht bedeutet also, dass sie ein ständiges Versteckspiel zwischen der Kraft der sinnlichen Äußerung der Werke und ihrer Bedeutungskraft ist. Nun hat dieses Versteckspiel zwischen dem Denken und der Kunst aber eine paradoxale Konsequenz: die Kunst ist Kunst – sie ist widerständig in ihrer Natur als Kunst, insofern sie nicht das Produkt des Willens, Kunst zu machen ist, insofern sie etwas anderes als Kunst ist.
– Jacques Rancière: "Ist Kunst widerständig?" (2004)

24. Januar 2011

In der Didaktik verknüpft sich die Philosophie mit der Kunst als erzieherische Aufsicht über ihren extrinsischen äußeren Bestimmungsort in Bezug auf das Wahre. In der Romantik verwirklicht die Kunst im Bereich der Endlichkeit die gesamte subjektive Erziehung, die zur philosophischen Unendlichkeit der Idee führt. In der Klassik fängt die Kunst das Begehren ein und erzieht zu dessen Transfer, indem sie ein Objekt als Schein beurteilt.
– Alain Badiou: "Kleines Handbuch zur In-Ästhetik" (1998)

22. Januar 2011

Die Pünktlichkeit, Berechenbarkeit, Exaktheit, die die Komplikationen und Ausgedehntheiten des großstädtischen Lebens ihm [dem Großstädter] aufzwingen, steht nicht nur in engstem Zusammenhange mit ihrem geldwirtschaftlichen und ihrem intellektualistischen Charakter, sondern muß auch die Inhalte des Lebens färben und den Ausschluß jener irrationalen, instinktiven, souveränen Wesenszüge und Impulse begünstigen, die von sich aus die Lebensform bestimmen wollen, statt sie als eine allgemeine, schematisch präzisierte von außen zu empfangen.
- Georg Simmel: "Die Großstädte und das Geistesleben" (1903)

9. Januar 2011

In der dörflichen Gemeinschaft hörten Personen auf, andere zu sein, wohin gegen das Stadtleben die Zugehörigkeit von Personen und Gruppen zu Räumen und Institutionen fördere ohne darüber zur Einheit zu verschmelzen. Es existierten vielfältige, auch wechselnde Gemeinschaften, so dass jeder immer sich wieder in der Position des Zugehörigen und des Fremden befände. Für [Iris Marion] Young ist Differenz etwas Erotisches, weil es bedeutet, aus der eigenen Routine herausgezogen zu werden, das Neue, Fremde, Überraschende zu treffen und Interesse an Menschen zu entwickeln, die als anders erfahren werden. Die Erotik der Stadt entspringe aus der Ästhetik ihrer materiellen Existenz: aus Lichtern, Gebäuden und Architekturstilen, aus der Differenz zwischen den dort lebenden Menschen sowie aus der 'sozialen und räumlichen Unerschöpflichkeit'. Für Ash Amin und Nigel Thrift ist die Stadt schließlich ein Fokus und eine Produzentin von Erfahrung und Begierde. Nicht nur, dass die Stadt alle Sinne reize, sie schaffe unerwartete Kombinationen aus sinnlichen Erfahrungen und damit eine Vielfalt an Körpererfahrungen.
– Martina Löw: "Die Soziologie der Städte"